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Erfahrungsbericht / Kolumne


Die Qual einer Fehldiagnose
Antidepressiva-Therapie ohne Grund


Bezug nehmend auf das Fachbuch "Unglück auf Rezept", hier meine Geschichte:


Da es in dem Buch der Ansaris diverse Erfahrungsberichte von Patienten und ihren Angehörigen gibt, die für Leser ohne persönliche Erlebnisse auf diesem Gebiet nahezu abenteuerlich anmuten dürften, habe ich meine persönlichen Erfahrungen ebenfalls kurz zusammenfassen. Wen das nicht interessiert, der möge bitte einfach die Seite verlassen.

Ich war 18 Jahre alt, als ich einen angesehenen Neurologen und Nervenarzt aufsuchte, da ich unter Schlafstörungen, tiefer Erschöpfung, Schwindel und täglichen Kopfschmerzen litt. Als erstes bekam ich für einige Wochen Johanniskraut verschrieben und bei der nächsten Vorstellung das Trizyklikum Trimipramin, das die Schlafstörungen beheben sollte. Das war der Anfang einer Odyssee von zahllosen Medikamentenversuchen - auch in Kombination -, Klinikaufenthalten in neurologischen sowie psychosomatischen Kliniken und Reha-Einrichtungen.

Die Symptome verschlimmerten sich, es kamen neue hinzu. Unabhängig davon hatte ich mit den Dauerfolgen eines Arbeitsunfalls zu tun. Ich sprach die Schmerzen immer wieder an, doch mir wurde gesagt, sie seien eine körperliche Manifestation der Depression und wurden daher nicht gezielt behandelt. Meine Empfindungen und Selbstreflexion waren nicht gefragt, jeder Einwand und Widerspruch wurde als typisch krankhaftes Zweifeln und gestörte Wahrnehmung abgetan. Im Laufe der Zeit war ich oft kurz davor, mir selbst nicht mehr zu vertrauen und aufzugeben. Aber ich bin eine Kämpfernatur und wollte nicht akzeptieren, dass es mir nach wie vor so schlecht ging. Das konnte unmöglich die richtige Therapie für mich sein!

Neuroleptika und Tranquilizer verweigerte ich standhaft, auch wenn mir das viel Ärger, Vorwürfe und Diskussionen einbrachte. Mir wurde vorgeworfen, ich wäre selbst schuld, dass es mir nicht besser ginge, wenn ich diese Medikamente ablehnte. Doch was die genannten Psychopharmaka anrichteten, hatte ich hautnah miterlebt. Ich wollte kein "Zombie" werden und als leere Hülle durch die Gänge schlurfen, unfähig irgendetwas zu empfinden. Hätte ich in dieser Zeit kein so gutes soziales Umfeld gehabt, wäre ich am Ende sicher nicht mit einem blauen Auge davon gekommen.

Als ich Jahre später, damals war ich 23, wieder einmal in einer Klinik war, wurden mehr oder weniger durch Zufall meine katastrophalen Leberwerte entdeckt. Es war bereits kritisch, aber zum Glück noch nicht zu spät. Zu der Zeit saß ich im Rollstuhl, weil ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Mein Herz hatte ebenfalls schon Schaden genommen. Ich litt unter Rhythmusstörungen, die - genau wie die schlechten Leberwerte - erst in dieser Einrichtung diagnostiziert wurden. Es folgte ein furchtbarer Medikamenten-Entzug, doch danach ging es aufwärts.

Inzwischen bin ich an Ärzte geraten, denen das Wohl ihrer Patienten am Herzen liegt, habe wunderbare Ergo- und Physiotherapeuten und nutze meditative Techniken sowie andere alternative Heilmethoden aus der multimedialen Schmerztherapie. Den Rollstuhl benötige ich schon lange nicht mehr, die Leber hat sich wieder erholt, nur mein Herz gerät bei der kleinsten Anstrengung aus dem Takt - noch immer. Das schlimmste daran ist, dass diese schrecklichen Erfahrungen, die vergeudeten Jahre und die Langzeitschäden überhaupt nicht nötig gewesen wären. Denn ich leide nicht an Depressionen, habe es noch nie. Ich bin schlicht und ergreifend Migräne-Patient, chronische Migräne mit Aura lautet die korrekte Diagnose. Hinzu kommen andere körperliche Leiden, von denen jedoch keines auch nur im Ansatz antidepressiver Therapie bedurft hätte. Inzwischen ist die Diagnose Depression komplett aus den Arztberichten verschwunden. Zumindest aus den aktuellen, denn die alten Aufzeichnungen lösen sich ja nicht in Luft auf.

Nach Jahren ist es mir gelungen, aus der Schublade "psychisch krank" zu klettern und mithilfe des multimodalen Ansatzes eine adäquate Therapie für meine tatsächlichen Leiden zu finden. Langsam, aber sicher geht es bergauf. Ich kann endlich wieder lesen und schreiben - zwar längst nicht so wie vor dem Medizin-Marathon, aber immerhin. Das macht mich unendlich glücklich und dankbar, auch wenn sich bei einer Lektüre wie dieser noch einmal begründeter Ärger in mir breit macht. Es hätte nie so weit kommen müssen, aber die Ärzte auf meinem Weg waren Fachleute. Ich habe ihnen vertraut.